Zurück zur Schachpresse-Startseite
Emanuel Lasker war der einzige deutsche Schachweltmeister (1894 - 1921). Zu der 1952 erschienenen Biografie über Lasker schrieb kein geringerer als Albert Einstein das Geleitwort.
Dr.
J. Hannak: Emanuel Lasker
Biographie
eines Schachweltmeisters
Mit einem Geleitwort von Prof. Albert Einstein
Siegfried Engelhardt Verlag Berlin 1952
Geleitwort von Prof. Albert Einstein
Emanuel
Lasker war ohne Zweifel einer der interessantesten Menschen, die ich in meinen
späteren Jahren kennen gelernt habe. Wir dürfen denen dankbar sein, die seine
Lebensgeschichte für die Mit- und Nachwelt aufgezeichnet haben. Denn derer sind
wenige, die eine so einzigartige Unabhängigkeit der Persönlichkeit mit warmen
Interesse für alle großen Fragen der Menschheit verbanden. Ich bin selber kein
Schachspieler und daher nicht imstande, die Macht seines Geistes da zu
bewundern, wo seine größten intellektuellen Leistungen liegen - auf dem
Gebiete des Schachspieles; ich muss sogar bekennen, dass mich selbst in der Form
des geistvollen Spieles Machtringen und kompetitiver Geist stets abgestoßen
haben.
Ich bin Emanuel Lasker im Hause meines alten Freundes Alexander Moszkowski
begegnet und habe ihn auf gemeinsamen Spaziergängen gut kennen gelernt, auf
denen wir unsere Meinungen über die verschiedensten Fragen austauschten. Es war
ein etwas einseitiger Austausch, bei dem ich mehr der Empfangende als der
Gebende war; denn es war diesem eminent produktiven Menschen meist natürlicher,
seine eigenen Gedanken zu gestalten, als sich auf die eines anderen
einzustellen.
Für mich hatte diese Persönlichkeit,
trotz ihrer im Grunde lebensbejahenden Einstellung, eine tragische Note. Die
ungeheure geistige Spannkraft, ohne welche keiner ein Schachspieler sein kann,
war so mit dem Schachspiel verwoben, dass er den Geist dieses Spieles nie ganz
loswerden konnte, auch wenn er sich mit philosophischen und menschlichen
Problemen beschäftigte. Dabei schien es mir, dass das Schach für ihn mehr
Beruf als eigentliches Ziel seines Lebens war. Sein eigentliches Sehnen schien
auf das wissenschaftliche Begreifen und auf jene Schönheit gerichtet, die den
logischen Schöpfungen eigen ist; eine Schönheit, deren Zauberkreis keiner
entrinnen kann, dem sie einmal irgendwo aufgegangen ist. Spinozas materielle
Existenz und Unabhängigkeit war auf das Schleifen von Linsen begründet;
entsprechend war die Rolle des Schachspieles in Laskers Leben. Spinoza aber war
das bessere Los beschieden, denn sein Geschäft ließ den Geist frei und
unbeschwert, während das Schachspielen eines Meisters diesen in seinen Banden hält,
den Geist fesselt und in gewisser Weise formt, so dass die innere Freiheit und
Unbefangenheit auch des Stärksten darunter leiden muss. Dies fühlte ich in
unseren Gesprächen und beim Lesen seiner philosophischen Bücher immer durch.
Von diesen Büchern war es „Die Philosophie des Unvollendbaren“, die mich am
meisten interessierte; dies Buch ist nicht nur sehr originell, sondern gibt auch
einen tiefen Einblick in Laskers ganze Persönlichkeit.
Nun muss ich mich auch noch rechtfertigen, weil ich auf Emanuel Laskers
kritischen Aufsatz über die (spezielle) Relativitätstheorie weder schriftlich
noch in den Gesprächen näher eingegangen bin. Ich muss nun aber wohl etwas darüber
sagen, da selbst in dieser auf das rein Menschliche eingestellten Biographie an
einer Stelle etwas wie ein leichter Vorwurf hindurchklingt, wo von diesem
Aufsatz die Rede ist. Laskers scharfer analytischer Geist hatte sofort klar
erkannt, dass der Angelpunkt der ganzen Frage in der Konstanz der
Lichtgeschwindigkeit (im leeren Raume) liegt. Er sah klar, dass, wenn man diese
Konstanz anerkannte, man der Relativierung der Zeit (die ihm gar nicht
sympathisch war) nicht entrinnen konnte. Also was tun? Er versuchte es wie der
von den Geschichtsschreibern „der Große“ getaufte Alexander, als er den
Gordischen Knoten durchhieb. Laskers Lösungsversuch entspricht folgender Idee:
„Niemand hat eine unmittelbare Kenntnis davon, wie rasch sich Licht im völlig
leeren Raum ausbreitet; denn selbst im interstellaren Raume ist selbst noch eine
- wenn auch minimale - Quantität Materie allenthalben vorhanden, und erst recht
in den Räumen, welche der Mensch, so gut er eben kann, leer gepumpt hat. Wer
hat also das Recht zu bestreiten, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit im
wirklich leeren Raum unendlich groß sei? Die Antwort hierauf kann z.B. so
gegeben werden: „Es ist zwar richtig, dass niemand aus unmittelbarer
experimenteller Kenntnis weiß, wie sich Licht im völlig leeren Raum
ausbreitet; aber es dürfte so gut wie unmöglich sein, eine vernünftige
Theorie des Lichtes zu ersinnen, gemäß welcher minimale Spuren von Materie
einen zwar bedeutenden, aber von der Dichte dieser Materie nahezu unabhängigen
Einfluss auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichtes haben.“ Bevor eine
solche Theorie aufgestellt ist, die zudem mit den bekannten Phänomenen der
Optik im fast leeren Raume im Einklang steht, scheint daher für jeden Physiker
der erwähnte Gordische Knoten weiterhin seiner Lösung zu harren - wenn er sich
mit der gegenwärtigen Lösung nicht zufrieden geben will. Moral: starker Geist
kann zarte Finger nicht ersetzen. Mir aber gefiel Laskers unbeirrbare Selbständigkeit,
eine so seltene Qualität in einer Menschheit, in der fast alle, auch die
Intelligenten, zur Klasse der Mitläufer gehören; und so ließ ich es dabei
bewenden.
Ich freue mich für den Leser, dass er diese starke und zugleich feine und
liebenswürdige Persönlichkeit aus dieser sympathischen Biographie näher
kennen lernt; ich aber bin dankbar für die Plauderstunden, die mir dieser
rastlos strebende, unabhängige, schlichte Mann schenkte.
Princeton, N. J., Oktober 1952
A. Einstein